Konzeption eines Baukulturatlas Deutschland 2030/2050 – Szenarien und Paradigmen für die gelebte Umwelt in Deutschland
Konzeption, Moderation und Dokumentation von vier Szenario-Workshops zur Zukunft der Baukultur in Deutschland (1 Auftaktveranstaltung + 3 Zukunftswerkstätten); ca. 100 Teilnehmer.
Auftraggeber: BMUB, BBSR
Laufzeit: 2011 – 2014
Wie werden sich veränderte gesellschaftliche Verhältnisse auf unsere gebaute Umwelt auswirken? Wie sehen die Städte und Regionen aus, in denen wir leben? – Der Baukulturatlas widmet sich den gesellschaftlichen und räumlichen Transformationen und spekuliert über ihre baukulturellen Konsequenzen.
Ausgangslage
Die Kulturlandschaften in Deutschland stehen unter einem großen Veränderungsdruck. Obwohl die Bevölkerungszahl zur Zeit nicht steigt, hält der Siedlungs- und Verkehrsflächenverbrauch an. Dazu kommen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Energiewende, technologische und verhaltensbedingte Innovationen im Mobilitätsbereich sowie gravierende und sich gegenseitig beeinflussende Veränderungen des Kommunikations- und Konsumverhaltens. Diese und viele weitere Entwicklungen beeinflussen Flächennutzung und das Stadt- und Landschaftsbild in hohem Maße. Das Antlitz von Deutschland wird sich auch in den kommenden Jahrzehnten erheblich ändern.
Klar ist, wir können nicht wissen, wie Deutschland in der Zukunft tatsächlich aussehen wird. Wir können uns nicht auf gegenwärtige Zukunftsvisionen oder Prognosen verlassen. Eine Vision reduziert aus vielen möglichen Zukünften eine unmögliche Zukunft. Auch die lineare Fortschreibung der Vergangenheit im Sinne der Prognostik hat sich als unbrauchbar erwiesen; Planungen, die den Fortgang der Geschichte aufgrund ihres bisherigen Verlaufs vermeintlich exakt voraussahen, erwiesen sich als zu starr und unflexibel, um mit radikalen Veränderungen umgehen zu können. Je offener der Blick in die Zukunft ist, desto mehr Varianten zukünftiger Entwicklungen schließt er ein und desto vielfältiger sind die Gestaltungsoptionen, die wir erhalten. In der Unsicherheit multipler Visionen und Prognosen liegt der Möglichkeitsraum für Entscheidungen. Wenn wir die Zukunft schon nicht wissen, stehen wir ihrem Eintreffen dennoch nicht machtlos gegenüber: Wir können sie gestalten.
Ziel
Im Rahmen des Vorhabens soll eine zukunftsgerichtete, interdisziplinäre Interpretation des durch Menschen gestalteten Territoriums der Bundesrepublik Deutschland erarbeitet werden. Das Ziel besteht darin, einen Beitrag zu leisten, neue Wege in der Gestaltung von Stadt und Landschaft zu erkennen und zu beschreiten und dies im Baukulturatlas zu bündeln. Dies beinhaltet eine anschauliche Darstellung von Szenarien für Deutschland und des Prozesses mit seinen vielfältigen Facetten und Herausforderungen, was z.B. die Maßstäblichkeit der Untersuchungsräume, heterogene zukunftsweisende Themenlandschaften sowie eine Vielzahl von beteiligten Akteuren anbelangt. Ausgehend von der Analyse und Darstellung des heutigen Zustands geht es um eine spekulative Auseinandersetzung mit möglichen – besonders langfristig – raumwirksamen Veränderungen unserer Städte und Landschaften. Der Zeitraum sollte dabei über die klassischen Raumordnungsprognosen des BBSR (bis etwa 2030) hinausgehen und sich bis etwa zum Jahr 2050 erstrecken.
Dem konzeptionellen Grundsatz der Szenario-Technik entsprechend bestehen Szenarien aus alternativen Zukunftsbildern, die sich in Teilen wesentlich unterscheiden, aber jeweils für sich plausibel und konsistent zu erklären sind. Damit sind zwei wichtige Ziele mit strategischer Bedeutung gleichermaßen erfüllt. Zum einen die Möglichkeit, frühzeitig die erforderlichen Planungen und Erwartungen auf die erwartete schwerpunktmäßige Zukunftsentwicklung auszurichten; zum anderen, den Handlungsspielraum bei sich unerwartet ändernden Umfeldbedingungen systematisch zu identifizieren und entsprechend schnell und zielführend zu reagieren. Die Szenario-Methode sorgt für eine schnelle Wahrnehmung von Umweltveränderungen, für Unterstützung beim Planen und Entscheiden und hilft im Erdenken flexiblerer Strategien. Mit der hier weiter entwickelten Szenario-Methode werden quantitative Daten und Informationen mit qualitativen Informationen, Einschätzungen und Meinungen verknüpft, so dass als Ergebnis detaillierte Beschreibungen mehrerer möglicher Zukunftssituationen unter einem ganzheitlichen Aspekt entstehen.
Das Entwerfen und Diskutieren von parallelen Zukunftsbildern in den Szenarien macht die Bandbreite möglicher Veränderungen anschaulich, zugleich zeigen sie zahlreiche Handlungsoptionen auf, bereiten politisches Handeln vor und machen weiteren Forschungsbedarf deutlich. Die hier entwickelten Instrumente und Methoden sind für Entscheidungsträger auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene eine Möglichkeit, mit zukunftsorientierten Rahmenbedingungen gänzlich anders umzugehen als dies heute üblich ist.
Konzept
Baukultur umfasst gemeinhin die Herstellung und den Umgang mit der „gebauten Umwelt”. Das Projekt „Baukulturatlas Deutschland 2030/2050” versucht diese Definition des Begriffs „Baukultur” zu erweitern und Baukultur nicht ausschließlich als gebaute, sondern als „gelebte Umwelt“ zu verstehen. Dieses erweiterte Verständnis von Baukultur als gelebte Umwelt bezieht soziale Sinngebungsprozesse mit ein, die durch Nutzung, Herstellung und Wahrnehmung Gebautes in Gelebtes wandeln. Damit verändert sich nicht nur der Blick auf die Akteure, die an baukulturellen Prozessen beteiligt sind, vielmehr wird Baukultur in einen ganzheitlichen, prozesshaften Kontext eingebettet.
Das Projekt wurde als Think Tank (bestehend aus Auftraggebern, Auftragnehmern sowie weiteren Experten) installiert, der in regelmäßig stattfindenden Zukunftswerkstätten eine Analyse der gegenwärtigen gelebten Umwelt vornahm, spekulative Szenarien für Deutschland bis ins Jahr 2050 entwickelte und daraus grundlegende Entwicklungsparadigmen für die nächsten Dekaden ableitete – immer im Hinblick auf seine baukulturellen Konsequenzen. Im Rahmen des Projektes wurden so Bausteine eines inhaltlich-intellektuellen Porträts von Deutschland unter Hinzunahme vielfältiger Meinungen und Perspektiven eines interdisziplinären Expertenkreises erarbeitet, die nicht nur einen analytischen Blick auf die gegenwärtigen Verhältnisse werfen, sondern sie auch mit Spekulationen zu zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten zusammendenkt.
Die zeitliche und inhaltliche Organisation des Prozesses orientierte sich im Wesentlichen an drei Zukunftswerkstätten, in denen Experten des Auftraggebers sowie hinzugezogene externe nationale und internationale Fachleute zusammenkamen (insg. ca. 100 Teilnehmer). Ergänzt wurde die so gehobene fachliche Expertise durch weitere Experteninterviews und kommentierende Essays internationaler Experten, deren Aussagen wiederum in die thematische Gestaltung der Werkstätten mit einflossen.
In der Zukunftswerkstatt #1 wurden im Rahmen eines Szenario-Prozesses optionale, spekulative Zukünfte für Deutschland im Jahr 2050 entwickelt. In Zukunftswerkstatt #2 wurden die Zukunftsszenarien in Tiefenbohrungen an realen Raumkonstellationen (u. a. Metropolregion Hamburg, Ludwigsburg, Offenbach, der Thüringer Saale-Orla-Kreis usw.) in Deutschland „getestet”, um dabei soziale, stadträumliche, architektonische, stadtplanerische, infrastrukturelle baukulturelle Fragestellungen gezielt szenarisch und konkret zu beleuchten. Die Zukunftswerkstatt #3 diente dazu, die Ableitungen der aus den Szenarien entwickelten Annahmen („Paradigmen”) zu unterfüttern und kritisch zu reflektieren. Dazu wurden zum einen Fachexperten zu den Paradigmen um thematischen Input gebeten.
Ergebnisse
Nach Abschluss des eigentlichen Szenarioprozesses (2011-14) werden die Ergebnisse in eine konkrete Publikation überführt. Das entstandenen Material wird aufbereitet und ergänzt, um die Forschungsergebnisse in einen breiten fachlichen Diskurs einzubringen.
Die erstmalige Präsentation des Baukulturatlas wird im Herbst 2015 stattfinden.
Unten: diverse Illustrationen zu zukünftigen Paradigmen in der Baukultur. Entwickelt gemeinsam mit ONE Architecture / Amsterdam.
"In Decentralized, a typical city will be developed on a per plot basis. This creates environments with much difference: a new building may be next to a vacant old one. A house may be adjoining a small company. On each plot, the owners might express themselves individually. Because neither buildings nor public spaces are organized through larger institutions or organizations, parks are small and haphazard, mostly the result of individual efforts on neglected spaces. They are made in a very practical way, to serve as playgrounds for children, or to grow vegetables."
"Linear cities were once designed as emblems of modernisation. In many countries, highways produced corridors, with food, lodging and distribution centers at every exit. In Exclusive, the viability, growth and development of cities depends on their proximity to networks of energy, infrastructure and information, their lifeline. It results in extreme forms of linear urbanization."
"In Community-Driven, collectives, sometimes based on cultural provenance, sometimes on lifestyle, are the driver of development. In spite of the size of the metropolis itself, distinct communities, each with a diverse program, remain visible. Heritage is valued and preserved: it often becomes the distinctive marker around which community identifies itself."
Alle Illustrationen © ONE Architecture